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Disziplinarrecht der Bundesbeamten: Eigentumsdelikt im Dienst / Polizeibeamter

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 20.12.07 - 2 BvR 1050/07 -

Ein Polizeibeamter nimmt in der Dienststelle verwahrtes Geld an sich.
Das Bundesverfassungsgericht billigt - auch beim Ersttäter - die Entfernung aus dem Dienst.

I.
Der Beamte wendet sich gegen seine disziplinarische Entfernung aus dem Dienst.
Er war seit 1972 Polizeibeamter in Niedersachsen und wurde 2000 zum Polizeikommissar ernannt. Zu seinen dienstlichen Aufgaben gehörte die Verwaltung und Abrechnung der in der Dienststelle eingenommenen Verwarngelder.
Mit Urteil des Verwaltungsgerichts - Disziplinarkammer - Stade vom 22.09.05 wurde der Beamte eines Dienstvergehens schuldig befunden und deswegen aus dem Dienst entfernt. Ihm wurde zur Last gelegt, im Sommer 2003 einen Betrag von 1.200,00 EUR aus der zur Aufbewahrung eingenommener Verwarngelder bestimmten Geldkassette entnommen und von dem Geld private Verbindlichkeiten beglichen zu haben. Wegen dieses Vorfalls war er bereits mit Strafbefehl des Amtsgerichts zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 50,00 EUR verurteilt worden.

Die gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil eingelegte, auf das Disziplinarmaß beschränkte Berufung des Beamten wies das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht zurück. Der Beamte habe im Kernbereich der ihm obliegenden Pflichten schwer versagt. Ein Dienstvergehen der vom Beamten begangenen Art sei regelmäßig geeignet, das Vertrauensverhältnis zum Dienstherrn zu zerstören, so dass in einem solchen Fall die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis grundsätzlich Ausgangspunkt der Bestimmung der angemessenen Disziplinarmaßnahme sei. Es könnten vorliegend auch keine gewichtigen und letztlich durchgreifenden Entlastungsgründe festgestellt werden.

II.
Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beamte eine Verletzung des aus Artikel 1 Absatz 1, Artikel 2 Abs. 1 und Artikel 20 Abs. 3 GG folgenden Schuldprinzips.
Obwohl er eine Kernpflicht aus dem Dienstverhältnis verletzt habe, sei seine Entfernung aus dem Dienst angesichts der für ihn sprechenden Momente unverhältnismäßig. Der Beamte habe keine besondere kriminelle Energie gezeigt. Er habe die Tat sofort eingeräumt, die Verantwortung dafür übernommen und den Schaden wieder gutgemacht. Er habe seinen Dienst über 30 Jahre beanstandungsfrei versehen, sei zuletzt deutlich überdurchschnittlich beurteilt worden und habe zehn Jahre lang die Verwarnkasse verwaltet. Diese sei auch nicht ausreichend kontrolliert worden; das Geld habe er zur Abdeckung einer finanziellen Notlage entnommen. Insgesamt handele es sich hier um ein einmaliges Versagen eines Beamten, der ansonsten seine Verlässlichkeit und Rechtstreue immer unter Beweis gestellt habe.
Die durch den Beamten verletzte Kernpflicht aus dem Beamtenverhältnis habe innerhalb der internen Kultur des Polizeiapparates (cop culture) heute nicht mehr den gleichen Stellenwert wie zu früheren Zeiten, was schon die Existenz des Begriffes "Niedersachsen-Darlehen" verdeutliche, der sich für Handlungen wie die von dem Beamten begangene eingebürgert habe.
Vollkommen außer Acht gelassen hätten die Gerichte, dass der Beamte nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts das Recht auf eine zweite Chance habe.

III.
Die Verfassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.

1.
Das verfassungsrechtliche Schuldprinzip ist nicht verletzt.

a) Das Schuldprinzip folgt aus dem Zusammenspiel von Artikel 2 Abs. 1 GG und dem Rechtsstaatsprinzip sowie dem wertsetzenden Gehalt des Artikels 1 Absatz 1 GG: Jede Strafe, nicht nur die Strafe für kriminelles Unrecht, sondern auch die strafähnliche Sanktion für sonstiges Unrecht, setzt Schuld voraus. Die Strafe muss in einem gerechten Verhältnis zur Schwere der Tat und dem Verschulden des Täters stehen (BVerfGE 50, 5 <12>; 73, 206 <253 f.>; 86, 288 <313>; 96, 245 <249>). Dem Richter muss grundsätzlich die Möglichkeit belassen werden, die von ihm verhängte Strafe dem Grad des Verschuldens und der Schwere des Unrechts anzupassen, die im Einzelfall gegeben sind. Er darf nicht durch eine zu starre gesetzliche Strafandrohung gezwungen sein, eine Strafe zu verhängen, die nach seiner Überzeugung Unrecht und Schuld des Täters nicht entspräche (vgl. BVerfGE 54, 100 <109>; 105, 135 <154>). Insoweit deckt sich der Schuldgrundsatz in seinen die Strafe begrenzenden Auswirkungen mit dem Übermaßverbot (vgl. BVerfGE 50, 205 <215>; 73, 206 <253>; 86, 288 <313>). Das Schuldprinzip und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Übermaßverbot) gelten auch im Disziplinarverfahren (vgl. BVerfGE 37, 167 <185>; 46, 17 <27>; BVerfG, Beschluss vom 19.02.03 - 2 BvR 1413/01 -, NVwZ 2003, S. 1504).
Die Feststellung der Schuld und die Auslegung der in Betracht kommenden Vorschriften sind dabei in erster Linie Sache der zuständigen Fachgerichte. Das Bundesverfassungsgericht prüft nur nach, ob dem Schuldgrundsatz überhaupt Rechnung getragen und seine Tragweite bei der Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts grundlegend verkannt worden ist, nicht dagegen, ob die entscheidungserheblichen Gesichtspunkte in jeder Hinsicht zutreffend gewichtet worden sind oder ob eine andere Entscheidung näher gelegen hätte (BVerfGE 95, 96 <141>).

b) Das Oberverwaltungsgericht ist vorliegend davon ausgegangen, dass dann, wenn sich ein Beamter bei der Ausübung seiner dienstlichen Tätigkeit an Vermögenswerten vergriffen hat, die ihm dienstlich anvertraut sind, ein solches Dienstvergehen regelmäßig geeignet ist, das Vertrauensverhältnis zum Dienstherrn zu zerstören, so dass grundsätzlich die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis Ausgangspunkt der Bestimmung der angemessenen Disziplinarmaßnahme sei; diese Indizwirkung entfalle jedoch, wenn gewichtige und im Einzelfall durchgreifende Entlastungsgründe festzustellen seien. In Übereinstimmung mit der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 13 BDG (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.10.05 - BVerwG 2 C 12.04 -, BVerwGE 124, 252; Beschluss vom 19.12.06 - BVerwG 2 B 42.06 -) hat das Oberverwaltungsgericht ferner ausgeführt, dass sich die Würdigung von Entlastungsgründen gerade nicht nur auf die Prüfung bestimmter, anerkannter Milderungsgründe wie etwa das Handeln in einer wirtschaftlichen Notlage oder in einer psychischen Ausnahmesituation beschränken dürfe. Es gebe keinen abschließenden Kanon der bei Zugriffsdelikten berücksichtigungsfähigen Entlastungsgründe; vielmehr sei auch nach anderen Entlastungsgründen vergleichbaren Gewichts zu fragen, die ein Restvertrauen des Dienstherrn rechtfertigen könnten. Bei der prognostischen Frage, ob bei einem Beamten aufgrund eines schweren Dienstvergehens ein endgültiger Vertrauensverlust eingetreten sei, gehörten zur Prognosebasis daher alle für diese Einschätzung bedeutsamen belastenden wie entlastenden Gesichtspunkte. Diese Rechtsauffassung entspricht dem Schuldprinzip.

c) Auch die Anwendung der dargestellten Rechtsgrundsätze auf den Einzelfall durch das Oberverwaltungsgericht ist nicht zu beanstanden.
Das Oberverwaltungsgericht hat die für und gegen den Beamten sprechenden Erwägungen umfassend berücksichtigt. Mit seinen Ausführungen zu dem Gewicht der ihn entlastenden Umstände begehrt der Beamte lediglich eine von der des erkennenden Gerichts im Ergebnis abweichende Bewertung beziehungsweise Prognose. Damit kann er im verfassungsgerichtlichen Verfahren keinen Erfolg haben. Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts ist nicht zu beanstanden.
Die Ausführungen des Beamten zur Bewertung des rechtswidrigen Zugriffs auf das Eigentum des Dienstherrn in Polizistenkreisen stellen die Schuldangemessenheit und Verhältnismäßigkeit der verhängten Disziplinarmaßnahme nicht in Frage. Dies gilt unabhängig davon, ob diesen Ausführungen in ihrer Allgemeinheit gefolgt werden kann. Wäre dies so, so wären die Disziplinarbehörden schon aus generalpräventiven Gründen zur Durchsetzung der Sauberkeit und Funktionsfähigkeit des Berufsbeamtentums verpflichtet und könnte dies schon die verhängte Maßnahme rechtfertigen.
Soweit der Beamte schließlich ein Recht auf eine zweite Chance, welches seine Entfernung aus dem Dienst verbiete, aus dem Grundsatz herleiten möchte, dass ein mit Artikel 1 Abs. 1 GG und dem Rechtsstaatsprinzip vereinbarer Vollzug der lebenslangen Freiheitsstrafe nur dann sichergestellt ist, wenn der Verurteilte eine konkrete und grundsätzlich auch realisierbare Chance hat, zu einem späteren Zeitpunkt die Freiheit wieder gewinnen zu können, verkennt er, dass dieser Grundsatz speziell auf den besonders tief gehenden Grundrechtseingriff der lebenslangen Freiheitsstrafe zugeschnitten ist und sich nicht in dem vom Beamten erstrebten Sinne eines Rechts auf eine zweite Chance verallgemeinern lässt. Es sei in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass auch in der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte Straftaten zum Nachteil des Vermögens des Arbeitgebers ohne weiteres die außerordentliche fristlose Kündigung rechtfertigen (vgl. nur BAG, Urteil vom 11.12.03 - 2 AZR 36/03 -, NZA 2004, S. 486).
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