Startseite ⁄ Beamtenrecht ⁄ Dienstliche Beurteilung ⁄ Begründung der Gesamtnote - BVerwG 2 C 2.21 vom 07.07.21

Bildung und Begründung des Gesamturteils einer dienstlichen Beurteilung

Einbeziehung sämtlicher Leistungs- und Befähigungsmerkmale ist geboten

Im Jahr 2015 standen vor dem Bundesverwaltungsgericht in drei Revisionsverfahren die dienstlichen Beurteilungen zur Diskussion, die den Kläger*innen nach den damals aktuellen Beurteilungsrichtlinien der Polizei Hamburg erteilt worden waren.
Die Beurteilungen enthielten jeweils eine Leistungsbeurteilung mit Noten von 1 bis 5 und eine Befähigungs- oder Potenzialeinschätzung mit Bewertung nach einer vierstufigen Skala.
Nach den Beurteilungsrichtlinien zählte nur das Ergebnis der Leistungsbeurteilung für die Endnote der Beurteilung. Das Hamburgische Oberverwaltungsgericht hatte dagegen Bedenken und meinte, die Befähigungsbewertung müsse in das Gesamturteil einfließen. Diese Idee wies das Bundesverwaltungsgericht zum Bedauern der von uns vertretenen Kläger*innen zurück.
Mitte des Jahres 2021 hat das Bundesverwaltungsgericht seine Rechtsprechung geändert und ausdrücklich erklärt, an seiner damals vertretenen Auffassung halte es nicht mehr fest.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 07.07.21 - BVerwG 2 C 2.21 -

Leitsätze
...
3. Eine dienstliche Beurteilung muss mit einem Gesamturteil abschließen, in das sämtliche vom Dienstherrn bewertete Einzelmerkmale der drei Kriterien des Art. 33 Abs. 2 GG einfließen. Dazu zählen auch die Einzel­merkmale der Befähigung (Aufgabe von BVerwG, Urteil vom 19.03.15 - 2 C 12.14 - BVerwGE 151, 333 Rn. 44).

Eine Vielzahl von Beurteilungsrichtlinien entsprechen dieser nunmehr zu berücksichtigenden Vorgehensweise nicht, die Beurteilungen sind als Grundlage für eine Bestenauslese nach Art. 33 II GG nicht geeignet, die Beurteilungen sind aus heutiger Sicht rechtswidrig.
Die Rechtsprechung setzt nun diese Erkenntnis zunehmend in aktuellen Urteilen um. Die Konsequenz daraus ist, dass eine Vielzahl von Beurteilungen als fehlerhaft angesehen werden muss.
Eine - wahrscheinlich - akzeptable Position dazu vertritt das OVG Berlin-Brandenburg in der nachfolgenden Entscheidung.

Beurteilungsrichtlinien können rechtswidrig sein.

Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 08.12.21  - 4 S 27/21 -

Leitsatz
1. Die Beurteilungsrichtlinie – BeurtVV – des brandenburgischen Ministeriums des Innern und für Kommunales vom 16. November 2010, zuletzt geändert am 28. Januar 2019, ist angesichts der jüngsten Rechtsprechungsänderung des Bundesverwaltungsgerichts mit Urteil vom 7. Juli 2021 – 2 C 2.21 – als rechtswidrig anzusehen.
2. Die Beurteilungsrichtlinie darf geändert werden, auch wenn die vom Bundesverwaltungsgericht neuerdings geforderte Überarbeitung der gesetzlichen Bestimmungen zum Beurteilungswesen noch aussteht.


Verfahrensgang
vorgehend VG Potsdam, 19. Juli 2021, VG 2 L 419/21, Beschluss

Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 19. Juli 2021 geändert. Es wird dem Antragsgegner im Wege einstweiliger Anordnung untersagt, bis zum Ablauf von 14 Tagen nach Zustellung des Widerspruchsbescheids an die Antragstellerin mit der Entscheidung über deren Widerspruch vom 17. Mai 2021 die Beigeladene zur Justizoberinspektorin aufgrund der Ausschreibung einer solchen Stelle am Amtsgericht Potsdam (JMBl. vom 16. November 2020) zu befördern.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe
Randnummer 1
Die Beschwerde hat Erfolg. Die von der Antragstellerin dargelegten Gründe, auf deren Prüfung das Oberverwaltungsgericht nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auch in einem Konkurrentenstreit beschränkt ist (BVerfG, Beschluss vom 4. Juli 2018 – 2 BvR 1207/18 – juris Rn. 18), rechtfertigen die Änderung des angefochtenen Beschlusses, weil das vom Verwaltungsgericht gefundene Ergebnis auch nicht aus anderen Gründen zutrifft (vgl. dazu den Beschluss des Senats vom 20. Juni 2017 – OVG 4 S 17.17 – juris Rn. 2 ff.). Die Beförderung der Beigeladenen zur Justizoberinspektorin ist einstweilig zu untersagen.
Randnummer 2
A.I. Die Antragstellerin beanstandet unter Hinweis auf die Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts zu dessen Urteil vom 7. Juli 2021 – 2 C 2.21 –, dass in den dienstlichen Beurteilungen der Konkurrentinnen die zu beurteilende Eignung und Befähigung nicht in die Gesamtnote eingeflossen sei. Sie hat damit, was die Befähigung betrifft, Erfolg.
Randnummer 3
a) Das Bundesverwaltungsgericht hat es in seinem Urteil vom 7. Juli 2021 – 2 C 2.21 – für verfassungsrechtlich geboten gehalten, dass in das zu bildende Gesamturteil einer dienstlichen Beurteilung sämtliche vom Dienstherrn bewerteten Einzelmerkmale der drei Kriterien des Art. 33 Abs. 2 GG einfließen müssten, also Eignung, Befähigung und fachliche Leistung (juris Rn. 41). Es gibt ausdrücklich (siehe juris Rn. 44) seine erst im Urteil vom 19. März 2015 – 2 C 12.14 – verlautbarte Rechtsauffassung auf, dass sich Befähigungsmerkmale einer generellen und bezugsunabhängigen Gesamtbewertung oder gar Notenvergabe entzögen (siehe dort juris Rn. 44). Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Rechtsprechungsänderung in seinem Urteil vom 9. September 2021 – 2 A 3.20 – bekräftigt (juris Rn. 46) und zugleich entschieden, dass daneben eine zusammenfassende Bewertung der Befähigung als solcher nicht geboten sei (juris Rn. 44 f.).
Randnummer 4
Der Antragsgegner hat in getreulicher Beachtung des Urteils vom 19. März 2015 die damalige Rechtsprechungsänderung in die Beurteilungsrichtlinie – BeurtVV – vom 16. November 2010 (ABl. S. 2065; mit nachfolgenden Änderungen) eingearbeitet (Verwaltungsvorschrift vom 28. Januar 2019; ABl. S. 211). Nunmehr heißt es in Nr. 5.3 BeurtVV: „Das Gesamturteil ist aus den Einzelbewertungen der Leistungsmerkmale und dem Gesamtbild der Leistung in Bezug auf das innegehabte Statusamt zu bilden …“. Nr. 5.4 BeurtVV lautet: „Mit der Befähigungsbeurteilung werden die für die dienstliche Verwendung wesentlichen allgemeinen Fähigkeiten, Kenntnisse, Fertigkeiten und sonstigen Eigenschaften … bewertet … Die Befähigungsbeurteilung ist gegebenenfalls im Rahmen der Eignungsbewertung durch die auswählende Stelle heranzuziehen.“ Demgemäß sieht das Formular in geänderter Reihenfolge unter I. Allgemeine Angaben, II. Leistungsbeurteilung, III. Gesamturteil und Begründung (Das Gesamturteil ist aus den Einzelbewertungen der Leistungsmerkmale und dem Gesamtbild der Leistung zu bilden), IV. Befähigungsbeurteilung, VI. Hinweise und Anmerkungen und schließlich unter VII. die Eröffnung vor.
Randnummer 5
Die der Antragstellerin und der Beigeladenen erteilten dienstlichen Beurteilungen folgen diesen Vorgaben. Die Befähigungsbeurteilung wurde weder zusammenfassend als solche benotet noch zum Gegenstand des Gesamturteils gemacht.
Randnummer 6
b) Der Senat schließt sich der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts an, dass Eignung, Befähigung und fachliche Leistung in das zu bildende Gesamturteil einfließen müssen. Denn das Grundgesetz sieht den Instanzenzug vor (Art. 95 Abs. 1 GG) und betraut die Richterinnen und Richter des Revisionsgerichts mit der Aufgabe, durch Vereinheitlichung (vgl. Art. 95 Abs. 3 GG) – nach § 127 Nr. 2 BRRG auch im Bereich des Landesbeamtenrechts – eine verlässliche und vorhersehbare Rechtsprechung auszuüben, an der sich die Verwaltungen in ganz Deutschland mit ihrem Handeln ausrichten und die betroffenen Bürgerinnen und Bürger orientieren können.
Randnummer 7
Der Senat sieht keine hinreichenden Gründe für eine vom Bundesverwaltungsgericht abweichende Auffassung, hält es vielmehr für richtig, dass das Revisionsgericht seine Rechtsprechungsänderung des Jahres 2015 zurücknimmt, weil sie bereits damals angesichts der Entwicklung der Dogmatik im Dienstrecht mehr Probleme bereitete als löste. Das hat sich bis heute nicht verändert.
Randnummer 8
In der früheren Rechtsprechung wurde für rechtens gehalten, auf der Grundlage der in erster Linie heranzuziehenden aktuellen dienstlichen Beurteilungen zu ermitteln, wer das Anforderungsprofil am besten erfüllte; verlangt wurde für die Eignungsprognose, die Leistungen der Bewerber in ihrer Gesamtheit zugrunde zu legen und im Hinblick auf das konkrete Anforderungsprofil der zu besetzenden Stelle zu würdigen (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30. Mai 2007 – OVG 4 S 13.07 – juris Rn. 4 m.w.N.). Der Schwerpunkt der Bestenauslese schlug sich demgemäß im Auswahlvermerk nieder, in welchem die Fülle der Informationen aus den dienstlichen Beurteilungen der Kandidaten und weitere Informationen über sie zu einer Bewerberreihung verarbeitet werden mussten. Die dienstlichen Beurteilungen waren nicht mehr als das wenn auch bedeutendste Hilfsmittel.
Randnummer 9
Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch inzwischen zu Art. 33 Abs. 2 GG entschieden, dass die Gesamtaussage der dienstlichen Beurteilungen nicht ohne Weiteres durch einen Rückgriff auf Einzelfeststellungen überspielt werden dürfe, wenn der Gesamtvergleich ergebe, dass keine wesentlich gleichen Beurteilungen vorlägen; bei nicht wesentlich gleichen Beurteilungen sei der unmittelbare Vergleich einzelner Feststellungen vielmehr nur bei Vorliegen zwingender Gründe zulässig (BVerfG, Beschlüsse vom 4. Oktober 2012 – 2 BvR 1120/12 – juris Rn. 14 und vom 16. Dezember 2015 – 2 BvR 1958/13 – juris Rn. 60; anders noch für die Dienstpostenkonkurrenz nach den Regeln der Bestenauslese: BVerwG, Beschluss vom 27. September 2011 – 2 VR 3.11 – juris Rn. 30). Das Bundesverfassungsgericht entschied zugleich, dass maßgeblich in erster Linie das abschließende Gesamturteil sei, welches anhand einer Würdigung, Gewichtung und Abwägung der einzelnen leistungsbezogenen Gesichtspunkte gebildet werde (BVerfG, Beschlüsse vom 4. Oktober 2012 – 2 BvR 1120/12 – juris Rn. 12 und vom 16. Dezember 2015 – 2 BvR 1958/13 – juris Rn. 58; so auch BVerwG, Beschluss vom 22. November 2012 – 2 VR 5.12 – juris Rn. 25). Dabei darf diese gleichermaßen in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und Bundesverwaltungsgerichts verwendete Formel von den leistungsbezogenen Gesichtspunkten nicht als Beschränkung auf die fachliche Leistung missverstanden werden (a.A. VG Potsdam, Beschluss vom 8. Juli 2021 – 2 L 266/21 – juris Rn. 26 bis 28 und im hier angegriffenen Beschluss). Vielmehr wird die Trias aus Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung unter dem Oberbegriff „Leistungsprinzip“ bzw. „Leistungsgrundsatz“, mithin als Leistung in einem weiten Sinn zusammengefasst (vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 23. März 2021 – 2 C 17.19 – juris Rn. 18 f.; OVG Lüneburg, Beschluss vom 29. November 2021 – 5 ME 132/21 – juris Rn. 18 f.). Die Verfassungsrechtsprechung hat zur Folge, dass regelmäßig die dienstlichen Beurteilungen für den Erfolg in einer Beförderungskonkurrenz entscheidend sind und sich der Auswahlvermerk jedenfalls dann, wenn ein Bewerber ein besseres Gesamturteil aufweist, in der Feststellung dieses Vorsprungs erschöpft.
Randnummer 10
Eingedenk der Verfassungsnorm, jedem Deutschen nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte zu geben (Art. 33 Abs. 2 GG), aus der die Pflicht folgt, diese drei Kriterien der Bestenauslese zugrunde zu legen (BVerfG, Beschluss vom 16. Dezember 2015 – 2 BvR 1958/13 – juris Rn. 31), musste es folglich Probleme bereiten, wenn die Befähigung nicht im Gesamturteil aufgeht und gleichwohl die Bestenauslese mitbestimmt. Da es gemäß Art. 33 Abs. 2 GG wie auch nach Einschätzung des brandenburgischen Gesetzgebers (siehe § 19 Satz 1 LBG) möglich ist, Eignung, Befähigung und fachliche Leistung der Beamten zu beurteilen, was in der Gesamtschau des Bewerberfelds vielfach zu einem Beurteilungsvorsprung eines Kandidaten führt, wäre begründungsbedürftig, warum für die Befähigung ein abschließendes Urteil nicht zu fällen sei. Die bedenkenswerten Einwände im Schrifttum (vgl. Bodanowitz in: Schnellenbach/Bodanowitz, Beamtenrecht in der Praxis, 10. Aufl. 2020, § 11 Rn. 17 m.w.N.) werden relativiert durch die Vorgaben aus der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, nach der die Bestenauslese im Ausgangspunkt nur an Statusämtern in der Reihung der jeweiligen Laufbahn orientiert ist und deswegen typischerweise die Anforderungen im Vergleich des niederen mit dem höheren Amt als gleichartig erscheinen. Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts wird ein Beamter aufgrund seiner Befähigung für eine bestimmte Laufbahn regelmäßig als geeignet angesehen, jedenfalls diejenigen Dienstposten auszufüllen, die seinem Statusamt entsprechen oder dem nächsthöheren Statusamt zugeordnet sind; es könne grundsätzlich erwartet werden, dass der Beamte imstande sei, sich in die Aufgaben dieser Dienstposten einzuarbeiten (Beschluss vom 20. Juni 2013 – 2 VR 1.13 – juris Rn. 28). Damit ließe sich die für eine Laufbahn oder enger für zwei Statusämter relevante Befähigung zusammenfassend bewerten und in ihrer Bedeutung neben Eignung und fachlicher Leistung in das Gesamturteil einbringen.
Randnummer 11
c) Die Antragstellerin vermisst hingegen zu Unrecht das Kriterium der Eignung bei der Bildung der Gesamtnote. Wie das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 9. September 2021 – 2 A 3.20 – klargestellt hat, ist losgelöst von den gewählten Bezeichnungen in der Beurteilungsrichtlinie oder im Formular einer dienstlichen Beurteilung das Kriterium der Eignung auch ohne ausdrückliche Nennung in einer Mehrzahl von Prüfpunkten erfasst und fließt durch sie in die Bildung des Gesamturteils ein (vgl. juris Rn. 48 f.). Es sei unschädlich, wenn in der Beurteilungsrichtlinie eine Beurteilung der Leistung und Befähigung sowie eine Gesamtnotenbildung aus Leistung und Befähigung vorgesehen werde; die Eignung werde erkennbar in der Richtlinie thematisiert (so in der vom Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 9. September 2021 überprüften Richtlinie, siehe juris Rn. 45, und nicht anders in der hier maßgeblichen Verwaltungsvorschrift, siehe Nr. 1 Abs. 1 und 2, Nr. 5.4 Satz 3 BeurtVV).
Randnummer 12
d) Der Antragsgegner wird nicht umhinkommen, seine Beurteilungsrichtlinie ein weiteres Mal zu überarbeiten. Es wird auch zu Verzögerungen in der Besetzung von Stellen und in der Beförderung von Beamtinnen und Beamten kommen, weil die erneute Rechtsprechungsänderung nicht für eine Übergangszeit unbeachtet bleiben kann (siehe BVerwG, Urteil vom 7. Juli 2021 – 2 C 2.21 – juris Rn. 41: die Beurteilung „ist rechtswidrig“).
Randnummer 13
Die für den Erlass von Beurteilungsrichtlinien zuständige Stelle darf eine Änderung der Verwaltungsvorschriften vornehmen, auch wenn die vom Bundesverwaltungsgericht ebenfalls für notwendig gehaltene Überarbeitung von § 19 LBG (siehe dessen zum Leitsatz erhobenes obiter dictum im Beschluss vom 21. Dezember 2020 – 2 B 63.20 – juris Rn. 23) noch auf sich warten ließe. Denn auch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts genügt für eine Übergangszeit die Bestimmung im Landesbeamtengesetz samt den Beurteilungsrichtlinien als Grundlage zur Erstellung dienstlicher Beurteilungen (BVerwG, Urteil vom 7. Juli 2021 – 2 C 2.21 – juris Rn. 40). Tragender Gedanke des Bundesverwaltungsgerichts für die Einräumung einer Übergangszeit zur Verarbeitung seiner neuen Rechtsauffassung durch die Gesetzgeber ist die zutreffende Erwägung, dass die für die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung wichtigen Auswahlentscheidungen nicht auf geraume Zeit unterbleiben können (a.a.O. Rn. 40). Wenn das Bundesverwaltungsgericht mit einer Formulierung an derselben Stelle zu erkennen gibt, dass anscheinend nur die bereits „erlassenen Verwaltungsvorschriften“ weitergelten sollten und womöglich deren Änderungen ausgeschlossen seien, hat es nicht bedacht, dass durch die zweite Rechtsprechungsänderung in seinem Urteil alle Beurteilungsrichtlinien, welche die Vorgaben des Urteils vom 19. März 2015 – 2 C 12.14 – unzweifelhaft inkorporiert haben, über Nacht rechtswidrig geworden sind und nur noch zur Erstellung rechtswidriger dienstlicher Beurteilungen führen könnten. Den dadurch bewirkten Stillstand in der Nachbesetzung freier Stellen gilt es zu vermeiden. Die staatlichen Handlungsformen des Gesetzes, der Verordnung und der Verwaltungsvorschrift unterscheiden sich in ihrer Flexibilität. Eine Verwaltungsvorschrift lässt sich schneller als ein Gesetz ändern. Das ist dem Land Brandenburg in der nach Länge unbestimmten Übergangszeit bis zu einer für notwendig erachteten Gesetzesänderung nicht verwehrt.
Randnummer 14
II. Die Antragstellerin meint außerdem, das Verwaltungsgericht habe sich nicht mit ihrem Einwand auseinandergesetzt, dass die Begründung des Gesamturteils – abgesehen davon, dass es nicht aus allen drei Kriterien des Art. 33 Abs. 2 GG hergeleitet werde – den Anforderungen des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. September 2015 – 2 C 13.14 – nicht genüge. Darauf ist kurz zu erwidern, dass das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 9. Mai 2019 – 2 C 1.18 – (juris Rn. 64 bis 66) seine eigenen Anforderungen wieder abgesenkt und eine Begründung des Gesamturteils unter Umständen sogar für entbehrlich gehalten hat. Es sei nicht mehr notwendig, in den Fällen mit unterschiedlicher Gewichtung der Einzelergebnisse das daraus resultierende Gesamturteil nachvollziehbar und plausibel zu begründen. Es reiche, wenn die Herleitung des Gesamtergebnisses „erkennbar“ werde (BVerwG, a.a.O. Rn. 65). Der Senat hat sich dieser Rechtsprechung bereits angeschlossen (beginnend mit dem Beschluss vom 22. April 2020 – OVG 4 S 11/20 – juris Rn. 5).
Randnummer 15
III. Auch die mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Februar 2003 – 2 C 16.02 – begründete Auffassung der Antragstellerin, der Antragsgegner hätte, da sie und die Beigeladene richtigerweise als im Wesentlichen gleich beurteilt anzusehen seien, als nächstes die älteren dienstlichen Beurteilungen auswerten müssen, trifft nach der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht mehr zu. Danach darf der Dienstherr, wenn mehrere Bewerber als im Wesentlichen gleich geeignet einzustufen sind, anhand der dienstlichen Beurteilungen auf einzelne Gesichtspunkte abstellen mit bindender Wirkung des Anforderungsprofils in der Stellenausschreibung (BVerwG, Beschluss vom 19. Dezember 2014 – 2 VR 1.14 – juris Rn. 36 f.; siehe auch BVerfG, Beschluss vom 9. August 2016 – 2 BvR 1287/16 – juris Rn. 80).
Randnummer 16
B. Sind die dienstlichen Beurteilungen der Antragstellerin und der Beigeladenen zu beanstanden, weil in das gebildete Gesamturteil ihrer dienstlichen Beurteilungen nicht die Würdigung der Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung im Ganzen eingeflossen ist, hat der Senat unabhängig von den dargelegten Gründen zu überprüfen, ob der Antrag der Antragstellerin im Ergebnis zu Recht abgelehnt worden ist. Das lässt sich nicht feststellen. Es steht im Beurteilungsspielraum des Dienstherrn, wie er die gesamten Eindrücke von den Bewerberinnen an Art. 33 Abs. 2 GG gemessen zu jeweils einem Gesamturteil bündelt. Der von der Antragstellerin bestrittene und vom Antragsgegner beschriebene Unterschied zwischen ihr und der Beigeladenen, wie er in den jetzt vorliegenden rechtswidrigen Beurteilungen zum Ausdruck kommt, ist – auch wenn die einzelnen Beurteilungselemente von der Antragstellerin nicht angegriffen werden – nicht so eindeutig, dass die Beigeladene bei einer rechtmäßig erstellten Beurteilung eindeutig vorzuziehen wäre.
Randnummer 17
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.
Randnummer 18
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


Überholt: Gewichtung der einzelnen Kriterien und textliche Begründung der Gesamtnote

Seit Jahren schon hatten sich viele Gerichte mit der Frage befasst, wie aus den meist recht zahlreichen zu berücksichtigenden einzelnen Kriterien das Gesamturteil / die Gesamtnote in einer dienstlichen Beurteilung gebildet werden soll und ob eine Begründung des Gesamturteils erforderlich ist.
Das VG Schleswig hatte eine Konstellation zu bewerten, die in der Praxis wahrscheinlich häufiger ist als wir annehmen.
Offensichtlich hat man für den Beamten erst eine Gesamtnote festgelegt und dann passende Bewertungen für einzelne Kriterien "gefunden".
Das führt zwar unter Umständen zu einer gewünschten Reihenfolge unter mehreren Beamten und zur Einhaltung von Quoten, aber dem Einzelnen kann man damit nicht gerecht werden. Hierzu Randnummer  49.
Für uns bedeutsam aber auch Randnummer  50, wo angedeutet ist, wie die Gesamtnote herzuleiten ist. In den Vordergrund trat nach dieser Entscheidung die "Gewichtung und Abwägung der einzelnen bestenauswahlbezogenen Gesichtspunkte" als beurteilungsrechtliches Problem.
Durch die vorstehenden Entscheidungen hat sich allerdings die Bedeutung der Entscheidung relativiert. Sie gehört heute wohl bereits in die Abteilung "Rechtsgeschichte". Die Frage der Gewichtung der einzelnen Kritierien hat jedoch bisweilen noch ihre Bedeutung.

Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, Beschluss vom 19.10.17 - 12 B 13/17 -

49
Rechtlichen Bedenken begegnet allerdings das von der Antragsgegnerin angewandte Verfahren zur Gesamtbewertung der Leistungsmerkmale. Im Gesamturteil kommt die unterschiedliche Bedeutung der Einzelbewertungen durch ihre entsprechende Gewichtung zum Ausdruck. Das Gesamturteil ist aus den gewichteten Einzelmerkmalen herzuleiten, d.h. es ist durch eine Würdigung, Gewichtung und Abwägung der einzelnen Gesichtspunkte zu bilden (BVerwG, Urteil vom 28.01.16 - 2 A 1/14 - zitiert nach juris Rn. 39 mit weit. Nachw.). Obwohl auch Ziffer 4.5 BeurtlRL vorschreibt, dass aus der Benotung der einzelnen Leistungsmerkmale unter Berücksichtigung und Würdigung der Gewichtung die Gesamtbewertung der Leistungsmerkmale zu bilden ist, geht die Antragsgegnerin offenbar umgekehrt vor und bestätigt insoweit den vom Antragsteller erhobenen Einwand, Leistungsmerkmale seien erst nach der bereits erfolgten Notenfestlegung in die Beurteilung eingearbeitet und daher nicht berücksichtigt worden. Die Antragsgegnerin hat vorgetragen, es begegne keinen Bedenken, einzelne Leistungsmerkmale erst nach der Festlegung der Gesamtnote zu bewerten, und es sei durchaus gängige Praxis, erst eine Gesamteinschätzung der Leistungen des Beamten vorzunehmen und im Anschluss daran, einzelne Leistungsmerkmale zu bewerten. Es ist daher davon auszugehen, dass bei der Beurteilung des Antragstellers ebenso verfahren wurde.
50
Da sich die angegriffene Beurteilung somit bereits aus diesem Grund als rechtswidrig erweist, kann dahinstehen, ob sie auch noch an einem Begründungsmangel leidet. Gesamturteil und Einzelbewertungen einer dienstlichen Beurteilung müssen nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in dem Sinne miteinander übereinstimmen, dass sich das Gesamturteil nachvollziehbar und plausibel aus den Einzelbewertungen herleiten lässt. Das abschließende Gesamturteil ist durch eine Würdigung, Gewichtung und Abwägung der einzelnen bestenauswahlbezogenen Gesichtspunkte zu bilden. Diese Gewichtung bedarf schon deshalb einer Begründung, weil nur so die Einhaltung gleicher Maßstäbe gewährleistet, das Gesamturteil nachvollzogen und einer gerichtlichen Überprüfung zugeführt werden kann. Dies gilt insbesondere, wenn die in der dienstlichen Beurteilung ausgewiesenen Einzelmerkmale im Ankreuzverfahren erstellt worden sind und die Bildung des Gesamturteils so einer zusammenfassenden Wertung bedarf (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.09.2015 - 2 C 27.14 - zitiert nach juris Rn. 32 f.; Beschluss vom 21.12. 2016 - 2 VR 1.16 - zitiert nach juris Rn. 39 f.). Erst durch die Ausführungen einer textlichen Begründung wird erkennbar, wie das Gesamturteil aus den Einzelbewertungen hergeleitet und welches Gewicht den einzelnen bestenauswahlbezogenen Gesichtspunkten gegeben worden ist. Die Anforderungen an die Begründung für das Gesamturteil sind dabei umso geringer, je einheitlicher das Leistungsbild bei den Einzelbewertungen ist. Gänzlich entbehrlich ist eine Begründung für das Gesamturteil jedoch nur dann, wenn im konkreten Fall eine andere Note nicht in Betracht kommt, weil sich die vergebene Note - vergleichbar einer Ermessensreduzierung auf null - geradezu aufdrängt (BVerwG, Urteil vom 17.09.2015, a.a.O.,Rn. 37). An einer textlichen Begründung der Gesamtnote der im Ankreuzverfahren erstellten Beurteilung des Antragstellers fehlt es. Sie dürfte auch nicht entbehrlich gewesen sein. Denn zumindest im Hinblick auf den vom Beurteiler zu berücksichtigenden Aktuellen Leistungsnachweis zum Stichtag 01.10.2015, der mit der zweitbesten von neun möglichen Gesamtnoten abschloss, wäre zu begründen gewesen, warum dem Antragsteller zum Stichtag 01.10.2016 eine schlechtere Gesamtnote zuerkannt wurde. Hinzu kommt, dass der Antragsteller zwar bei der Bewertung der Leistungsmerkmale 9 x die Note B1 und lediglich 6 x die Note A2 erhielt, zwei der vier von der Antragsgegnerin als besonders wichtig angesehenen Leistungsmerkmale aber mit der Note A2 bewertet wurden. Allerdings konnte der Beurteiler hier wohl kaum begründen, wie das Gesamturteil durch eine Würdigung, Gewichtung und Abwägung der einzelnen bestenauswahlbezogenen Gesichtspunkte gebildet wurde, weil die Gesamtnote offenbar gerade nicht aus der Bewertung der Einzelmerkmale hergeleitet wurde.


Wie Sie sicher wissen, hat uns die Frage der Gewichtung der einzelnen Beurteilungskriterien, die sich an den Anforderungen des Statusamtes orientieren muss (und nicht an den Anforderungen des konkreten Dienstpostens) bis Ende 2020 stark beschäftigt. Inzwischen hat das Bundesverwaltungsgericht eine gewisse Klarheit in die Sache gebracht.
Beamtenrecht / Übersicht Beamtengesetze
Dienstliche Beurteilungen
Dienstliche Beurteilung / Übersicht Dienstliche Beurteilung / Einleitung Tarifrecht: Bundesarbeitsgericht
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Formelles zur Anfechtung Eröffnung der Beurteilung Anfechtung, Widerspruch Zeitablauf / Verwirkung Gericht: Kontrolldichte Rechtsschutzbedürfnis
Einzelne Probleme Anlassbeurteilungen Regelbeurteilung nur bis 50 Jahre? Beurteilungsmaßstab Beurteilungszeitraum Beurteilungsbeitrag Personalgespräche vorher Maßstabskonferenzen Erst- und Zweitbeurteiler - Voreingenommenheit? Verschlechterung der Note Absinken nach Beförderung Quoten / Gaußsche Kurve Quotenopfer bei Beurteilung Punkte-/ Ankreuzverfahren Gewichtung der Einzelkriterien Beurteilung: Fortschreibung Längere Freistellung Beurteilung trotz längerer Fehlzeiten Schwerbehinderte Beamte Assessment Center
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